La Paz
Nach über einem Monat Natur pur ging es nun endlich mal wieder in eine Grosstadt. Aber nicht in irgendeine, nein, in eine der höchstgelegensten: La Paz, der Regierungssitz und auf Grund der verkehrsgünstigen Lage die wichtigste Stadt Boliviens aber nicht deren Hauptstadt, liegt in einem Talkessel, welcher sich zwischen 3.100 und 4.100 m.ü.M. erstreckt. Gespannt waren wir auf diese kontrastreiche Stadt, wo sich armselige Bretterhütten und sterile Wolkenkratzer gegenüberstehen, wo Indigenas, Cholos, Chriollos und manche Europäer friedlich nebeneinander leben, und nicht zu vergessen die indigenen Märkte.
Aber vorher erwartete uns noch ein Nervenkitzel. Obwohl bereits vor einigen Jahren eine neue zweispurige asphaltierte Strasse von La Paz nach Coroico, eine Stadt im tropischen Tiefland, gebaut wurde, sollte unser Weg in die Grosstadt über die einst gefährlichste Strasse der Welt führen. Es ist noch nicht lange her, da gab es nur diesen einen Weg. In dieser Zeit mussten sich Busse, LKWs und Autos auf einer 3,2 m breiten, stellenweise seitlich 600 m abfallenden Schotterpiste aneinander vorbei quetschen. Im Jahresdurchschnitt stürzten rd. 26 Fahrzeuge über die Klippen. Kreuze am Strassenrand erinnern an die Verunglückten. Heutzutage weicht der Grossteil der LKWs jedoch auf die neue „Autobahn“ aus, und so kamen uns nur hier und da kleinere Kollektivos entgegen. Verschwunden sind auch die Hunde, die seinerzeit am Strassenrand standen und von den Fahrern, auf ihrem Weg ins Tal, gefüttert wurden, in der Hoffnung, dass ihre Ahnen über sie wachen. Aber auch ohne diesen Adrenalienschub, auf den wir definitiv verzichten konnten, ist die Aussicht spektakulär. Man durchfährt einen rd. 3000 m Höhenunterschied und fast alle Vegetations- und Klimazonen. Eine besondere Begegnung hatten wir mit einem Kolibri. Ob er uns für eine schmackhafte Blume hielt, werden wir nicht erfahren, aber es fehlte nicht viel, dann wäre er in unser offenes Fenster geflogen. Es ist schon beeindruckend wie sie erst im blitzschnellen Zickzack durch die Luft fliegen, und dann wieder auf einer Stelle wie wild flügelschlagend in der Luft schweben.
Nach dieser spektakulären Fahrt über den Pass Abra La Cumbre (4.650 m.ü.M.) erreichten wir mit leichten Kopfschmerzen La Paz und steuerten das bei Langzeitreisenden beliebte unter Schweizer Leitung stehende Hotel Restaurant Oberland an. Hier darf auf dem Parkplatz campiert werden. Aber nicht nur das, auch eine Schweizerische Speisekarte lacht einem entgegen. Und so schlugen wir uns die Mägen mit Käse-Fondue, Cordon Bleu, Rösti, Älplemakkaroni, und und und voll. Es schmeckte wie zu Hause. Aber wir waren ja nicht nur zum Essen gekommen. Da wir auch in den nächsten Tagen noch mit der dünnen Luft zu kämpfen hatten, liessen wir es langsam angehen. Gemütlich strolchten wir durch die Strassen und Gassen von La Paz. Schauten uns die eine oder andere Kirche an und meisterten dabei so einige Höhenmeter.
Unser Besuch in La Paz sollte allerdings nicht nur Sightseeing beinhalten. Auch unser treuer Vierrädler Nisto brauchte mal wieder ein paar professionelle Streicheleinheiten. Bremsen, Kugellager, Kupplung … hatten alle nach rd. 84.000 km eine Revision nötig. Also steuerten wir die Autowerkstatt von Ernesto Hug an. Einem Schweizer, der sich hier vor Jahren niedergelassen hat. Mit gutem Gefühl innerhalb von fünf Tagen alles erledigt zu haben, fuhren wir auf das Werkstattgeländer. Diese Zahl schlug uns Ernesto jedoch gleich mal aus dem Kopf. Wenn wir alles machen lassen wollten, sollten wir mit zwei bis drei Wochen rechnen. Der hatte gesessen. Aber was blieb uns anderes übrig, wenn wir nicht irgendwann mitten im Nirgendwo stehen bleiben wollten. Also an die Arbeit. Während Markus fleissig unter dem Nisto mithalf, erledigte Sonja Büroarbeit, die schon vor Monaten an der Reihe war, schrieb E-Mails, plante unsere Weiterreise und reinigte die kleine Wohnung mal wieder von innen. Schnell gehörten wir zum Inventar dazu, denn wir schliefen auch weiterhin im Dachzelt.
Während wir an den Wochentagen in der Werkstatt beschäftigt waren, verbrachten wir die Wochenenden in der Innenstadt. Schlenderten über die Märkte, welche von Badzimmerzubehör, Schraubensortimenten und Küchentöpfen alles im Angebot hatten. Aber am stärksten wurden wir von der Calle Sagarnaga angezogen. Farbenfrohe Ponchos und Pullover aus Alpakawolle, Mützen, Schals, Umhängetaschen und Hängematten leuchten einem hier entgegen. Diesem Farbenmeer konnten selbst wir nicht widerstehen und so wanderte das eine oder andere Erinnerungsstück in den Nisto. Auch statteten wir dem Zaubermarkt einen Besuch ab. Kräuterhexen und Heiler verkaufen hier diverse Mittelchen und Pülverchen gegen böse Geister und alle Arten von Krankheiten. Schon ein Bisschen gruselig wenn man in die Augen eines Lamaembryos schaut. Ausserdem trafen wir uns mit den Bekannten von Markus Eltern, Ruth und Carlos, der hier aufgewachsen ist und aktuell auf Familienbesuch war. Wir verbrachten zwei wunderschöne Tage mit ihnen. Kamen in den Genuss eines richtigen Bolivianischen Frühstückes mit Abi, ein heisses Maisgetränk, Pasteles und Bunuelos und besuchten eine Pena mit Folkloremusik. Wir löcherten die beiden mit Fragen über La Paz sowie Bolivien und bekamen unteranderem endlich eine Erklärung für das Aufschreiben unserer Fahrzeugdaten und Namen an diversen Strassenposten quer durch Bolivien. Durch das Erfassen der Daten kann genau festgestellt werden, wenn eine Person auf ihrem Weg von A nach B verschwunden ist, was früher wohl nicht selten vorgekommen ist, in welchem Bereich gesucht werden muss.
Früher als gedacht, waren nach knapp 1 ½ Wochen alle Arbeiten an Nisto erledigt. Damit hatte keiner gerechnet, aber wir waren begeistert. Bevor es jedoch mit der Reise weiterging, statteten wir dem Zongotal und Chacaltaya, einem stetig schmelzenden Gletschers (Eigentlich ist nur noch ein Pfitzel übriggeblieben.) und einst das mit über 5.000 m.ü.M. höchstgelegene Skigebiet der Welt einen Besuch ab. Wir genossen den Ausblick auf La Paz, wie sich die Häuser die Hänge hinauf fressen und die umliegenden 6.000er. Dann hiess es on the road again, zu neuen Abenteuern und wunderschöner Natur.
Aus Potosí senden wir kalte, Schneeregen Grüsse … ja ist denn heut schon Weihnachten?!?!
Markus und Sonja